Mohsen Ali – First we are human

Ich treffe den jungen Mann im Cafe Carlotta bei Edeka, bin wie üblich zu früh, um 15 Uhr sind wir verabredet. Um 14.59 Uhr erscheint Ali, wie immer perfekt rasiert, im makellosen gebügelten Hemd. Er grüßt höflich, setzt sich zu mir, will nichts trinken. Meine Fragen hatte ich ihm vorab zugesandt, damit er sich vorbereiten kann. Ich habe einen Atlas mitgebracht, er zeigt mir, von wo in Pakistan er stammt: aus der Nähe von Chiniot im Punjab, im Nordosten Pakistans. Unsere Unterhaltung verläuft in englisch, teilweise stockend, teilweise bin ich nicht sicher, ob ich alles richtig verstehe. Obwohl er sehr gut und viel Deutsch lernt, scheint er die für diese Unterhaltung nötigen Worte eher auf englisch zu kennen. Er erzählt, dass er und seine Familie den schiitischen Moslems angehört, die von einer Gang aus der Nachbarschaft verfolgt wird. Sie hätten nicht mehr die gleichen Rechte und müssten um ihr Leben fürchten. Im vergangenen Jahr sind vier seiner Glaubensbrüder von dieser Gang umgebracht worden, drei davon waren seine Freunde. Die Leichen brachte man in sein Dorf, zur „Abschreckung“. Seine Mutter war in großer Sorge um ihn, da vor allem junge Männer, die durch Narben am Rücken als Schia erkennbar sind, verfolgt und ermordet werden. Sie verbat ihm, das Haus zu verlassen oder arbeiten oder studieren zu gehen, er war zuhause im Gefängnis, wie er sagte. Als die Situation immer unerträglicher wurde, bat die Mutter ihn, das Land zu verlassen, er solle lieber am anderen der Welt leben, aber er solle überleben. In einer Nacht Ende Juni machte er sich zu Fuß auf in Richtung Iran, er hatte kein Ziel, wollte nur erst einmal in ein Land, in dem er sicher sein konnte. Schlepper brachten ihn nach Teheran, später in die Türkei, über Istanbul nach Bodrum. Weder im Iran noch in der Türkei konnte er bleiben, in Bodrum wurde er verhaftet und war sechs Tage im Gefängnis, warum weiß er wohl bis heute nicht. Die Reise dauerte bisher ungefähr sechs Wochen und nun drohte man, ihn nach Pakistan zurück zu schicken. Zusammen mit sieben weiteren Personen schloss er sich einem Schlepper an, der die Leute mit dem Boot nach Kos bringen sollte. Die ersten vier Versuche scheiterten, einmal kenterte das Boot auf offener See, er fürchtete um sein Leben und war manchmal zu müde, um weiter zu machen und wünschte, dass es einfach vorbei sein solle. Er wusste nicht, wo er hin sollte. Meine Frage, ob er nicht ein Ziel gehabt habe, zum Beispiel nach England zu gehen oder nach Deutschland, verneinte er, er sei einfach immer nur weiter, auf der Suche nach Schutz, dieses Wort muss er in seinem Smartphone nachschlagen. In Pakistan habe er früher nicht fort gewollt und sich daher nie Gedanken darum gemacht. Mit dem fünften Versuch das Meer zu überqueren, gelangen die Männer nach Kos in Griechenland. Sie hatten auf der Reise alles verloren und lernten auf dem Markt einen Mann aus Pakistan kennen, der sie telefonieren lässt, Ali lässt sich von seinem Bruder Geld an die Adresse des Mannes schicken, er erfährt, dass er weiter reisen müsse, in Italien und Deutschland gebe es Schutz. Er reist weiter auf der westlichen Balkanroute. In Serbien werden sie in Busse geladen, wissen nicht, wo es hingeht. In München steigen sie aus, bekommen Essen und Getränke, werden das erste Mal freundlich empfangen, er hört das erste „Willkommen“. Einige Stunden bleiben sie dort, ein Polizist setzt ihn in einen Zug, sagt, der fahre nach Berlin. Er kommt nach Frankfurt/Oder, dann in die Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt, es ist der 1.September. Am 21.September kommt er nach Schöneiche. Ich befrage ihn nach seinem Status, den Interviews, die die Behörden mit ihm geführt haben. Er sagt, man habe ihm bisher nur wenige Fragen gestellt, woher er komme, über welche Länder er gereist sei. Er weiß nicht, wie es weiter geht. Am liebsten möchte er in Schöneiche bleiben, er liebt es hier, die Menschen seien so freundlich, er ist sehr dankbar. Er sagt, seine Mutter möchte, dass er Polizist werde, er möchte das auch, er möchte tun, was seine Mutter ihm sagt. Er sagt, „I want to live here, as a good citizen”, Ich möchte hier als ein guter Bürger leben. Er ist vorgestern 23 Jahre geworden und weiß nicht, wie sein Leben weiter geht.

Anna Kruse
Anna Kruse ist Vorsitzende von B'90/Die Grünen Schöneiche.