»Und der Arme sagte bleich …«

Reicher Mann und armer Mann

Standen da und sahn sich an.

Und der Arme sagte bleich:

Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.

Bertolt Brecht, Alfabet (Strophe 17), 1934

Die Gefahr, in Armut zu geraten, nimmt in Deutschland seit Jahren zu. Dabei wird zwischen „absoluter“ Armut und „relativer“ Armut unterschieden. Wie der renommierte Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge jüngst in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung der Freitag schrieb, gilt als absolut arm, wer seine Grundbedürfnisse nicht zu befriedigen vermag. Relativ arm bzw. armutsgefährdet ist gemäß einer EU-Definition, wem regelmäßig weniger als 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens zur Verfügung steht. Wer zwar seine Grundbedürfnisse befriedigen, aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, gilt demnach als „relativ“ arm. Laut Butterwegge waren noch vor der Steigerung der Flüchtlingszahlen rund 1 Million Menschen in Deutschland von absoluter Armut betroffen. Im Jahr 2012 lag die Armutsgefährdungsquote – also der Anteil der von relativer Armut betroffenen Bevölkerung – hierzulande bei 16,1 Prozent. Besonders stark von Armut betroffen sind Arbeitslose (69,3 Prozent im Jahr 2012), Alleinstehende (31,9 Prozent) und alleinerziehende Eltern mit ihren Kindern (35,2 Prozent). Die Armutsquote von Menschen mit Migrationshintergrund war 2011 übrigens mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.

Diesen erschreckenden Zahlen stehen auf der anderen Seite der Einkommensskala horrende Privatvermögen gegenüber. Die Zahlen der weltweiten Einkommens- und Vermögensdatenbank (WWID) zeigen, dass im Jahr 2010 das reichste 1 Prozent der deutschen Bevölkerung insgesamt 13,13 Prozent der landesweiten Einkommen erzielten. Die reichsten 0,01 Prozent erhielten allein sogar noch 2,31 Prozent. Damit strichen die reichsten Deutschen (Top 1 Prozent) durchschnittlich (!) 381.368 Euro und die allerreichsten (Top 0,01 Prozent) sogar durchschnittlich (!) mehr als 6,7 Millionen Euro „Jahresgehalt“ ein. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Gesamtbevölkerung lag 2010 bei 38.724 Euro. Zur Erinnerung: Knapp einem Fünftel der Bevölkerung stand davon weniger als 60 Prozent zur Verfügung.

Diese Zahlen zeigen die immer stärkere gesellschaftliche Spaltung in Arm und Reich. Wie der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) zeigt, ist der gesamtgesellschaftliche Wohlstand in Deutschland seit dem Ende der 1990er Jahre fast ausschließlich abgesunken. Gleichzeitig verzeichnet das Bruttoinlandsprodukt (BIP), mit Ausnahme der Finanzkrise 2008, einen Anstieg. Wie der Ökonom Hans Diefenbacher in der Zeitung der Freitag erklärte, lässt sich so beobachten, dass immer weniger Menschen von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland profitieren. Das wird sich kaum ändern, wenn tausende mittellose Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Armut ins Land kommen.

Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder hat mit ihrem massiven Sozialabbau diesen Stein ins Rollen gebracht. Die von Kanzlerin Angela Merkel und ihrer CDU/CSU geführten Nachfolgeregierungen mit SPD und FDP haben seit 2005 nichts gegen diese gesellschaftliche Spaltung getan. Das ist im Wortsinne ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Erde.

Angesichts des aktuellen Flüchtlingszuzuges wirkt die sozialpolitische Verweigerung der Bundesregierung gar wie ein bewusstes Ausspielen der einheimischen Armen gegen die Flüchtlinge. Das ist – wiederum im Wortsinne – brandgefährlich.

Während Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgehen, AfD und „Pegida“, bestärkt von CDU/CSU und SPD, gegen sogenannte „Armutszuwanderung“ hetzen, lachen sich die Superreichen ins Fäustchen. Daran, dass sie genug Geld in den Taschen haben, um die angespannte Situation für arme Deutsche und Flüchtlinge gleichermaßen zu verbessern, denkt niemand mehr. Und so nutzen sie das Geld für weitere, wilde Spekulationen auf den Finanzmärkten – zum Beispiel auf Lebensmittelpreise in Entwicklungsländern. Der Hunger dort treibt derweil immer mehr Flüchtlinge gen Europa.

Dieser Text ist ein Beitrag von Fritz R. Viertel, Vorsitzender des Bildungs- und Sozialausschusses der Schöneicher Gemeindevertretung. Er erschien zuerst auf www.linke-schoeneiche.de.

Fritz R. Viertel
Fritz R. Viertel ist Mitglied der Gemeindevertretung und Vorsitzender der Fraktion Die Linke.