Ansprache zum 15. Neujahrsempfang der Gemeinde Schöneiche bei Berlin

Heinrich Jüttner Bürgermeister am 8. Januar 2016 in der Kulturgießerei

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zum Neujahrsempfang der Waldgartenkulturgemeinde Schöneiche bei Berlin begrüße ich Sie wiederum hier in der Kulturgießerei mit Mehrgenerationenhaus sehr herzlich – gemeinsam mit dem auch einladenden Vorsitzenden der Gemeindevertretung, Herrn Dr. Erich Lorenzen. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich wieder nicht jeden mit Namen begrüßen kann. Sicherlich hätten Sie alle es verdient, persönlich genannt zu werden.
Allen noch einmal herzlichen Dank für Ihr Kommen.
Gleich zu Beginn – bevor ich es vergessen sollte – bedanke ich mich bei denjenigen, die diesen Abend wieder vorbereitet haben und die uns heute mit Musik sowie Essen und Trinken begleiten. Es sollte natürlich auch dieses Jahr wieder etwas Besonderes sein: wieder Kultur und Politik – ein Neujahrsempfang mit Musik und Auszeichnungen.

Themenauswahl

Welche Rede erwarten Sie nun von Ihrem Bürgermeister?

Besonderheiten, Außergewöhnlichkeiten, Skandale? Ich biete heute Alltag.
Das Leben besteht doch meist aus Alltag. Menschen stehen morgens auf und machen sich daran, ihren Alltag zu bewältigen. Man geht zur Arbeit, gerne oder auch nicht so gerne. Man bemüht sich um einen Arbeitsplatz. Das ist wohl überall auf der Welt so, auch wenn Bedingungen überall unterschiedlich sind. Kinder werden in Kindergärten oder Schulen gebracht. Dort findet Alltag statt. LehrerInnen und ErzieherInnen kümmern sich um Kinder. Aber wer fragt denn nach, was dort geleistet wird? Wer wertschätzt das dort und anderswo geleistete? Wer spricht ErzieherInnen oder LehrerInnen an und zeigt seine Anerkennung? Meist wird alles selbstverständlich hingenommen.

Aber ohne diesen – oft mühevollen – Alltag gibt es kein Gemeinwesen. Das Leben besteht nicht aus Skandalen.

Rückblick

Gemeinsam haben wir 2015 für unsere Waldgartenkulturgemeinde wieder vieles erreicht:
•    Erweiterungsbau Hort am Storchenturm
•    Brücke in der Parkstraße über den Jägergraben
•    zahlreiche kleinere Investitionen in beiden Grundschulen, in Kindertagesstätten und in den Fuhrpark des Baubetriebshofes.
•    neue Gehwege Goethestraße
•    Neubau Brandenburgischen Straße 66 mit 6 neuen Kommunalwohnungen

Eine besondere Herausforderung wurden Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Seit Ende 2014 beschäftigte sich die Gemeinde mit dieser Aufgabe. Es gab damals im Ort kein geeignetes Objekt für eine Gemeinschaftsunterkunft. Noch bei der großen Einwohnerversammlung Ende August 2015 wurde davon ausgegangen, dass es wohl erst Mitte 2016 Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft im St. Konradshaus an der Friedrichshagener Straße geben werde. Genug Zeit für Vorbereitungen. Und dann kam alles anders. Die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden stieg auch in Brandenburg sprunghaft an.

Am 07.09.2015 war ein Termin der Bürgermeister in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Unterkünfte werden dringend benötigt. Die Gemeinde prüfte drei für Notunterkünfte mögliche Gebäude:
•    Käthe-Kollwitz-Straße 6
•    Krummenseestraße 17
•    Dorfaue 22A

Am 09.09.2015 erfolgte die Besichtigung durch den Landkreis Oder-Spree und alle drei Objekte wurden als Notunterkünfte akzeptiert.
Die Gemeindeverwaltung organisierte in enger Abstimmung mit dem Landkreis unverzüglich die Herrichtung der Objekte.
Mitte September 2015 wurden Versammlungen mit den direkten Anliegern der Notunterkünfte durchgeführt.
Am 20.09.2015 kamen 20 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Pakistan in die Notunterkunft Krummenseestraße 17
Am 01.10.2015 kann eine Familie mit fünf Kindern aus Tschetschenien in der Dorfaue 22A untergebracht werden.
Am 14.10.2015 kamen 30 Flüchtlingen in die Käthe-Kollwitz-Straße 6 aus Syrien und Afghanistan.

Es gab und gibt eine sehr gute Willkommenskultur in unserer Gemeinde. Sehr viele Einwohnerinnen und Einwohner sind ehrenamtlich aktiv und schenken Zeit für persönliche Begegnungen. Es gibt materielle und finanzielle Spenden. Die Kulturgießerei hat ein Cafe als Treffpunkt eröffnet. Deutschkurse werden angeboten. Kinder von Flüchtlingen besuchen unsere Grundschulen und Kindertagesstätten. Unsere Bibliothek ist ein beliebter Anlaufpunkt.
Die drei Notunterkünfte stehen nur zeitlich befristet zur Verfügung bis 30.06.2016. Dann soll die Gemeinschaftsunterkunft im St. Konradshaus bezugsfertig sein.

Insgesamt sollte unsere Gemeinde entsprechend ihrer Bevölkerung 300 bis 400 Flüchtlinge und Asylsuchende unterbringen. Dafür gibt es aber keine Wohnungen und auch keine weitere Gemeinschaftsunterkunft. Die Gemeinde hat daher mit dem Landkreis Oder-Spree ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet, damit Sozialwohnungen gebaut werden können, in denen vorübergehend auch bis zu 200 Flüchtlinge untergebracht werden können. Die Gemeinde wird hinter der Musikschule 24 Sozialwohnungen für WBS-berechtigte bauen. 40% unserer Bevölkerung wohnen zur Miete. 80% der Gebäude sind Einfamilienhäuser, aber 40% der Wohnungen sind Mietwohnungen. Es gab und gibt in diesem Ort eine soziale Vielfalt. Dafür tragen wir Verantwortung.

Eine besondere Aufgabe ist und bleibt Integration von Menschen, die in unseren Ort kommen, insbesondere Flüchtlinge und Asylsuchende aus Kriegs- und Krisengebieten. Sie suchen Frieden, Unterkunft, Perspektive. Zeigen wir allen die helle Seite unserer christlich-humanistischen Kultur, ermöglichen wir menschenwürdiges Leben. Veränderungen können auch unser Leben bereichern. Integration gelingt, wenn sich viele aktiv beteiligen.
2008 sind 680.000 Menschen nach Deutschland zugezogen und 730.000 fortgezogen, ein negativer Saldo.

2014 sind 1.460.000 zugezogen und 910.000 fortgezogen, ein positiver Saldo.
Die Bevölkerung in Deutschland verändert sich stetig.
In unserer Gemeinde gibt es jedes Jahr 600 Zuzüge und 600 Wegzüge. Unser Ort verändert sich ständig. Alle, die hierher kommen, werden integriert – unspektakulär.
Wer will, dass alles so bleibt wie es ist, will keine Lebendigkeit. Unser Körper verändert sich ständig, er erneuert sich unaufhörlich. Ohne diese stetige biologische Veränderung sind wir tot. Veränderung ist Leben.

Die Aufgabe Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden beginnt mit der Ankunft der Menschen und sie wird über längere Zeit andauern. Integration benötigt staatliche Rahmenbedingungen, aber vor allem Bereitschaft in Bevölkerung und kommunalen Einrichtungen sowie selbstverständlich bei Flüchtlingen und Asylsuchenden. Gegenseitiger Respekt und Toleranz sind Voraussetzungen für ein demokratisches Gemeinwesen.
In unserem Land hat jedermann das Recht, seine Meinung zu äußern. Man kann auch beim Thema Flüchtlinge Vorbehalte, Skepsis, Ängste frei äußern. Man kann Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen. Man kann sogar gegen Unterkunft für Flüchtlinge sein. Dies gehört zu unserer Demokratie.
Aber niemand hat das Recht, vor Flüchtlingsunterkünften oder Privatwohnungen von Bürgermeistern zu demonstrieren oder bei Flüchtlingen Angst zu verbreiten oder seine Meinung mit Gewalt durchzusetzen. Niemand hat das Recht, Hass zu predigen, zu Gewalt aufzurufen, Feuer zu legen.
Wenn alle demokratische Staatsgewalt vom Volk ausgeht und diese Volksgewalt sich jedoch in menschenverachtender brutaler Gewalt gegen Sachen und Menschen äußert, dann ist dies undemokratisch und sogar demokratiefeindlich. Und es ist rechtswidrig.

Unser Rechtsstaat gilt für alle, die hier leben – selbstverständlich auch für Flüchtlinge und Asylsuchende. Niemand hat das Recht zu Straftaten. Was in Köln, Hamburg und Berlin an Silvester passiert ist, das ist chauvinistischer Sexismus, das ist strafbare Gewalt gegen Frauen. Durch solches Handeln verwirkt man Gastfreundschaft.

Ausblick

Unsere Gemeinde wird weiter wachsen. In den nächsten zehn Jahren wird die Bevölkerung im Ort um 2.000 bis 3.000 anwachsen. Die Ortsentwicklungskonzeption wird mit Bürgerbeteiligung weiterentwickelt werden.

2016 und bis 2019 wird die Gemeindekasse gut gefüllt. Sehr viele Investitionswünsche können realisiert werden. Etwa 10 Mio. Euro sollen bis 2019 durch die Gemeinde investiert werden:
•    Neubau Hort am Storchenturm wird 2016 abgeschlossen
•    Erweiterung Feuerwehrgebäude mit Katastrophenschutzeinheit
•    Neubau Integrationskindertagesstätte Jägerstraße
•    Neubau Haus des Sports
•    Sanierung Kommunalwohnungen
•    Komplexsanierung Krummenseestraße 17 mit neuen Wohnungen
•    Kommunalwohnungsneubau Warschauer Straße
•    Straßenbau Kieferndamm BA 2.2
•    Straßenbau im Gutsdorf rund um die ehemalige Schloßkirche
•    Straßenbau Roloffstraße
•    Neubau Brücke hinter der ehemaligen Schloßkirche
•    Gehwegneubau Heuweg im Bereich Ortszentrum
•    Brückenneubau im Schloßpark

Nicht alle Wünsche können realisiert werden. Das Geld ist immer begrenzt.
Auch private Investitionen wird es ab 2016 geben:
•    Neubau Ortszentrum 3. BA mit Sparkasse, Gewerbe und Wohnungen
•    Altengerechter Wohnungsneubau Dorfaue 7 und 9 mit Tagespflegeeinrichtung
•    Wohnungsneubau Stegeweg 2. BA
Manchmal wird nach einem „roten Faden“ in der Ortsentwicklung gefragt. Es gibt einen online-shop mit dem Namen Roter Faden. Der „rote Faden“ kommt aus dem Werk Wahlverwandtschaften von Johann Wolfgang Goethe. Es geht um Grundgedanke, Grundmotiv, Leitmotiv.
Es gibt seit 1991 ein Leitmotiv unserer Ortsentwicklung. Wer sehen möchte, der sieht. Unser Faden ist ein „grünes Band“. Die Waldgartenkulturgemeinde Schöneiche bei Berlin entwickelt sich seit 1991 behutsam und nachhaltig mit einer sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Balance. Vielfältige und teilweise kontroverse Interessen und Belange werden einbezogen und berücksichtigt.

Es gibt in der Region und auch darüber hinaus große Anerkennung für die positive Entwicklung unserer Gemeinde. Aber im Ort selbst scheinen leider manchmal unsachliche Kritiker, Nörgler, Lästerer oder demagogische Populisten sehr im Vordergrund zu stehen. Das ist jedoch nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Es gibt eine große Zufriedenheit in der Bevölkerung mit unserer Gemeinde, mit der Lebensqualität hier im Ort. Hier kann man gut leben.

Sie erinnern sich an meine Rede vom letzten Jahr? Es gab Bestätigung sowie Unverständnis und Kritik. Ich bedanke mich vor allem bei den Mitgliedern unserer Gemeindevertretung, die mich verstanden sowie Änderungen versucht und teilweise sogar erreicht haben.
Und nun kommen wir zur Auszeichnung.
Zum Abschluss meiner Rede habe ich – wie schon beim ersten Neujahrsempfang 2002 und seither immer wieder – erneut denselben – immer noch unerfüllten – Wunsch.
Vertreten wir nicht nur – jede und jeder – eigene Interessen, übernehmen wir gemeinsam Verantwortung für unsere Gemeinde und die eine Welt, sprechen wir miteinander aufrichtig und ehrlich, hinterfragen wir unsere Vorurteile, betonen wir nicht Egoismus und Trennendes, suchen wir Gemeinwohl und Verbindendes.
Alles Gute für unsere Demokratie, für Sie und unsere Gemeinde im neuen Jahr.
Ich wünsche uns Frieden und eine lebenswerte menschenwürdige Gegenwart und Zukunft hier und auf der ganzen einen Welt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Heinrich Jüttner Bürgermeister

(es gilt das gesprochene Wort)

Quelle: www.schoeneiche-bei-berlin.de

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Redaktion Schöneiche Online