Ist immer mehr noch nicht genug?

Quelle: Peter von Bechten/pixelio.de
Quelle: Peter von Bechten/pixelio.de

Die Gemeindevertretung soll Mitte Februar entscheiden, ob sich der „Aldi“-Markt im Ortsbereich Grätzwalde um weitere 340 qm vergrößern darf. Darüber wird heftig diskutiert. Während die Naturschutzbeauftragte der Gemeinde, Gudrun Lübeck, vehement für den Erhalt des Baumbestandes kämpft, der einer neuen Entwässerungsanlage am östlichen Grundstückrand weichen soll, beschimpft der Vorsitzende der Fraktion CDU/BBS/FDP, Lutz Kumlehn, die Gegnerinnen der Discounter-Erweiterung im Internet als „realitätsfern, unsachlich, wirtschaftsfeindlich, kleinbürgerlich, rückwärtsgewandt, engstirnig“ (Online-Kommentar vom 01.02.2016). Bisher haben sich in den Ausschussberatungen vor allem Mitglieder der Fraktionen DIE LINKE sowie NF/GRÜNE/FFW kritisch zu dem Vorhaben geäußert.

Zum Hintergrund: In Schöneiche bei Berlin gibt es seit Jahren immer wieder Auseinandersetzungen um Erweiterungen von großen Lebensmittelmärkten. Im Jahr 2009 wurde – damals ebenfalls nach kontroverser Debatte – in der Gemeindevertretung der Vorhabenbezogene Bebauungsplan (B-Plan) 08/09 beschlossen. Er erlaubte es dem Discounter „Aldi“, von seinem bisherigen Standort nördlich der Kalkberger Straße (heutige „Rossmann“-Filiale) auf die andere Straßenseite umzuziehen und dort einen neuen Markt mit einer Grundfläche von insgesamt 1245 qm zu errichten. Im Jahr 2012 verhinderte eine Mehrheit der Gemeindevertretung mit dem B-Plan 17/12 die Errichtung eines mehr als 1000 qm großen „Lidl“-Marktes an der Dorfstraße.

Bürgermeister Heinrich Jüttner (parteilos) warb in der Sitzung des Bildungs- und Sozialausschusses engagiert für eine Zustimmung zu der B-Plan-Änderung, welche die „Aldi“-Vergrößerung möglich machen soll und wurde dabei insbesondere seitens der Vertreterinnen von SPD und CDU unterstützt. Seine Hauptargumente: Schöneiche bei Berlin werde in den nächsten Jahren auf bis zu 15.000 Einwohnerinnen wachsen. Eine Erweiterung der Verkaufsflächen sei nötig, um den Bedarf zu decken (1). Außerdem müsse man den Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung tragen. Und es würden nun einmal mehr Menschen beim Discounter einkaufen als im Bioladen (2).

Das praktische Argument (1) ist offensichtlich Unsinn, zieht man die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Rate. Demnach existierten in Deutschland im Jahr 2009 durchschnittlich rund 535 qm/1000 Einwohner Verkaufsfläche im Lebensmitteleinzelhandel. Im Land Brandenburg waren es rund 492 qm/1000 Einwohner. In der Bundeshauptstadt Berlin mit immerhin gut einer Million mehr Einwohnerinnen als Brandenburg gab es „nur“ 333 qm/1000 Einwohner. Wie aus dem Textteil des B-Planes 6/3/05 (Ortszentrum) aus dem Jahr 2005 hervorgeht, wies Schöneiche bei Berlin damals rund 470 qm/1000 Einwohner Verkaufsfläche aus. Mit dem neuen „Aldi“-Markt erhöhte sich diese Zahl im Jahr 2009 auf circa 560 qm/1000 Einwohner. Schon damals lag Schöneiche bei Berlin in dieser Frage also über dem bundes- und landesweiten Durchschnitt. Aus Berlin, das deutlich darunter liegt, sind bisher keine Schlachten an den Supermarktkassen bekannt. Daher sind diese wohl – angesichts der überdurchschnittlichen Versorgungslage – auch in unserer Gemeinde in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Selbst, wenn „Aldi“ nicht vergrößert wird.

Das politische Argument (2) ist jenes, über das sich die Gemeindevertretung politisch auseinandersetzen muss. Welchen Anspruch und welches Ziel wollen wir der wohnortnahen Versorgung im Ort zu Grunde legen? Fördern wir den Vergrößerungswettlauf der Discounter, die immer mehr Produkte auf immer riesigeren Verkaufsflächen anbieten wollen? Oder setzen wir auf eine Stärkung des lokalen (Klein-) Einzelhandels und werben in der Bevölkerung dafür, regionale Wirtschaftskreisläufe zu unterstützen. Das beginnt beim Handwerksbäckereibetrieb und hört – natürlich – beim örtlichen Fahrradhändler noch nicht auf. Dass dies durch eine Ablehnung der „Aldi“-Vergrößerung noch längst nicht getan ist, sollte jedoch allen Beteiligten klar sein.

Was viele Kommunalpolitikerinnen in Schöneiche bei Berlin hingegen nicht zu realisieren scheinen, ist ihre Steuerungsverantwortung in einem politischen Kontext, der über die Ortsgrenzen hinausgeht. Das trifft beim internationalen Handel (Stichwort TTIP/CETA) genauso zu wie beim Klimaschutz und in der Wirtschaftspolitik. Die Frage danach, wie das Dogma vom schrankenlosen Wirtschaftswachstum mit der Tatsache begrenzter natürlicher Ressourcen vereinbar ist, muss nicht zuletzt kommunalpolitisch beantwortet werden. Vor Ort wird konsumiert, darum muss dort zuerst über die Konsequenzen unserer Konsumkultur diskutiert werden.

Bisher hat noch keine der örtlichen Parteien und politischen Vereinigungen konkrete Vorschläge zur Stärkung der Lokalwirtschaft auf den Tisch gelegt. Dabei stehen mit dem Mittelstandsverein sowie dem Fachbeirat „Visionen für Schöneiche“ mindestens zwei aktive und kompetente Partner bereit. Die Entscheidung über die Vergrößerung des „Aldi“-Marktes könnte der Ausgangspunkt für eine breite, parteiübergreifende Diskussion über regionale Wirtschaftskreisläufe, Schonung natürlicher Ressourcen und fairen Handel sein.

Hinweis: Die Geltungsbereiche aller B-Pläne können im Geoportal der Gemeinde Schöneiche bei Berlin per Kartentool (siehe dort Menü „Bauleitplanung) abgerufen werden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.linke-schoeneiche.de.

Von Fritz Viertel

Fritz Viertel ist Mitglied der Gemeindevertretung und Vorsitzender der Fraktion Die Linke.