
von Volkmar Schöneburg
Nach dem terroristischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt entbrannte sofort eine sicherheitspolitische Debatte. Ohne dass überhaupt Klarheit über die die Tat begünstigende Bedingungen bestand, präsentierten der Bundesinnenminister und sein Kollege aus dem Justizressort einen Maßnahmenkatalog zur „inneren Sicherheit“. Es sind die gleichen sicherheitspolitischen und medialen Reaktionsmuster wie nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001 oder denen von Paris 2015: der Beschwörung der westlichen Werte folgt der Ruf nach dem starken Staat, nach Gesetzesverschärfungen, nach mehr Überwachung der Bevölkerung oder nach dem verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Die gegenwärtigen Hauptforderungen sind die Einführung der elektronischen Fußfessel für „Gefährder“, die Ausdehnung der Videoüberwachung, die Erleichterung der Abschiebehaft oder die Schaffung eines zentralen Geheimdienstes. Die hektische Betriebsamkeit der Innenpolitiker zeigt auch, dass die Wahlen ihre Schatten vorauswerfen. Auf dem Weg zu einem Wahlsieg helfen offenbar nur Bekenntnisse, einen sicheren Staat zu schaffen. Nichtsdestotrotz ist eine grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik einzufordern.
Eine Erfahrung nach 9/11 besagt: der Terror stärkt die Staatsgewalt und entwertet die Freiheitsrechte. Nicht ohne Grund hat das Bundesverfassungsgericht maßlose Sicherheitsgesetze in den letzten Jahren als verfassungswidrig korrigiert. Stichworte sind: der Große Lauschangriff, die präventive Telekommunikationsüberwachung, der präventive Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeugs durch das Militär oder die anlasslose Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten. Diese Beispiele dokumentieren ein bedenkliches Verfassungsbewusstsein der politischen Klasse.
Wie soll vor diesem Hintergrund der soziale und demokratische Rechtsstaat auf schwere Gefahren reagieren? Von der individuellen Freiheit aus gedacht, muss es bei der Abwehr solcher Gefahren um den Schutz der individuellen Freiheitsrechte gehen, insbesondere um die Menschenrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Massive Eingriffe in bürgerliche Freiheitsrechte dürfen nur dann erlaubt sein, wenn deren Kern unmittelbar bedroht oder verletzt ist. Zudem müssen die Eingriffe verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Vielleicht sollten wir uns angesichts der vorherrschenden Sicherheitspolitik noch einmal die Worte des norwegischen Ministerpräsidenten anlässlich des Massakers von Oslo und Utoya 2011 in Erinnerung rufen: „Wir sind erschüttert von dem, was uns getroffen hat. Aber wir geben nie unsere Werte auf. Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität.“
Dies ist eine gekürzte Fassung des gleichnamigen Beitrags für die Kreiszeitung Widerspruch Februar 2017 von DIE LINKE Oder-Spree.
Dr. Volkmar Schöneburg war von 2009 bis 2013 Brandenburgischer Justizminister. Seit 2014 ist er Mitglied des Landtages und Ansprechpartner der Fraktion DIE LINKE im Landkreis Oder-Spree.