Wollen wir die Verkehrswende? Ein Diskussionsbeitrag

(Artikel/FRV) Wenn morgen die Schöneicher Gemeindevertretung zu ihrer vorletzten Sitzung vor der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 zusammentritt, wird die Verkehrspolitik das bestimmende Thema des Abends sein. 10 der 14 Anträge und Beschlussvorlagen auf der Tagesordnung haben damit zu tun. Das zeigt bereits: Das Thema ist hochaktuell. Und hat das Zeug, eine bestimmende Streitfrage im Wahlkampf zu werden.

Breiter Konsens: Mehr tun für den Umweltverbund

Bereits in den vergangenen Wochen sorgte ein Antrag der Fraktionen DIE LINKE und NF/GRÜNE/FFW für einen weiteren Radweg zum S-Bahnhof Rahnsdorf (AN 630/2019) für rege Diskussionen. Am Ende wurde er mit deutlicher Mehrheit beschlossen (10 Ja, 4 Nein, 4 Enthaltungen). Ähnlich dürfte es den meisten Vorhaben ergehen, um die es diesmal geht. Etwa der Teilnahme am „Stadtradeln“ (AN 632/2019, Fraktionen DIE LINKE und NF/GRÜNE/FFW), dem Maßnahmenpaket für besseren Radverkehr (BV 641/2019), dem 10-Minuten-Takt der Straßenbahn im Berufsverkehr (BV 645/2019) oder einem Antrag der Fraktionen DIE LINKE und CDU/FDP zur sicheren Fußgängerquerung am S-Bahnhof Friedrichshagen, der in der nächsten Sitzungsrunde beraten wird.

Es sind sich in Schöneiche also fast alle Parteien und politischen Vereinigungen darüber einig, dass in der Verkehrspolitik mehr getan werden muss – besonders für den sogenannten Umweltverbund aus Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr. So weit, so gut. Interessant wird es, wenn es ans Eingemachte geht.

Weshalb brauchen wir eine Verkehrswende?

Denn eine soziale und ökologische Verkehrswende ist mehr als ein bisschen mehr öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) hier und ein bisschen mehr Radverkehr dort. Bei der Verkehrswende geht es um drei globale Ziele.

  1. Die Begrenzung der Klimazerstörung und den Erhalt unser aller Lebensgrundlagen: Im Gegensatz zu Industrie, Energie und Landwirtschaft konnten die CO₂-Emissionen im Verkehr bisher nicht reduziert werden. Im Gegenteil: Sie steigen. In Schöneiche stammt ein Drittel der CO₂-Emissionen aus dem Verkehrsbereich. Mehr als im Bundesdurchschnitt.
  2. Der Schutz unserer Gesundheit: Der Verkehr schadet uns nicht nur auf dem Umweg über Klimakatastrophen. Lärm und Luftverschmutzung an stark befahrenen Straßen verursachen Erkrankungen. Jedes Jahr sterben tausende Menschen durch Verkehrsunfälle.
  3. Soziale Gerechtigkeit: Von unserem derzeitigen Verkehrssystem profitieren (mal wieder) zuvorderst Menschen mit hohen Einkommen. Mit vielen besonders großen und dreckigen Autos sowie häufigeren und weiteren Flugreisen tragen sie überdurchschnittlich zu den negativen Auswirkungen des Verkehrs bei. Ärmere Menschen hingegen können sich oft kein eigenes Auto leisten. Zugleich sind sie Abgasen und Unfällen stärker ausgesetzt, weil sie öfter zu Fuß gehen und an vielbefahrenen Straßen wohnen. Oder sie leben im globalen Süden und müssen die Folgen der Klima- und Naturzerstörung sprichwörtlich „ausbaden“.

Ein anderer Verkehrsmix ist nötig

Damit sich das ändert, müssen wir in Zukunft anders mobil sein als heute. Unerlässlich ist ein anderer Verkehrsmix („Modal Split“), bei dem mehr Wege mit dem Umweltverbund zurückgelegt werden und weniger mit dem privaten Pkw. Spätestens an diesem Punkt enden die parteiübergreifenden Gemeinsamkeiten. Denn allein das Nachdenken über weniger Autoverkehr ist für manche offenbar ökosozialistisches Teufelszeug. Dabei geht es nicht um Fahrverbote oder dergleichen, sondern um andere Schwerpunkte in der Ortsentwicklung und Verkehrsplanung.

Faire Flächenverteilung zwischen den Verkehrsformen

Denn wer A sagt, muss auch B sagen. Wer beim Umweltverbund wirklich weiter kommen und nicht nur Kosmetik betreiben will, muss Fragen über Zielkonflikte beantworten. Zum Beispiel: Sichere und attraktive Rad- und Gehwege brauchen Platz. Der ist auf innerörtlichen Straßenflächen begrenzt. Woher ihn also nehmen? Eine faire Flächenverteilung zwischen den Verkehrsformen funktioniert nur, wenn der Autoverkehr zu Gunsten des Umweltverbunds Platz abgibt. Etwa in der Rahnsdorfer Straße oder im Bunzelweg.

Anders planen, Prioritäten verschieben

Weiter geht es beim Planen. Viele der Maßnahmen, die von der Verwaltung im Maßnahmenpaket für besseren Radverkehr vorgeschlagen werden, sollen erst im Zusammenhang mit Straßenbau umgesetzt werden. Wer wirklich vorankommen will, muss hier aber klare Prioritäten setzen. Das heißt: Radwegebau auch unabhängig von der (Auto-) Fahrbahn umsetzen. Das geht Hand in Hand mit einem anderen Planungsansatz. Zuerst sollten die Bedürfnisse der schwächeren Verkehrsteilnehmenden – nämlich Radfahrende und Fußgänger*innen – dann die des Autoverkehrs berücksichtigt werden. Und vielleicht braucht es auch nicht immer eine Maximalausbauvariante, sondern finden sich technisch einfachere Lösungen.

Groß und langfristig denken

Schließlich werden wir eine soziale und ökologische Verkehrswende nur hinbekommen, wenn wir über kurzfristige Maßnahmen und die Gemeindegrenzen hinaus denken. Dazu gehören anspruchsvolle Projekte wie eine Erweiterung unserer Straßenbahnlinie. Genauso wie Pilotprojekte zum Beispiel für ein Carsharing- und E-Bikesharing-Angebot, eine kostenlose Ausleihmöglichkeit für Lastenfahrräder oder ein Bürgerticket. Der Schlüssel für derlei Innovationen ist der Mut, zu experimentieren. Auch gemeinsam mit den Nachbargemeinden.

Investitionen in mehr Lebensqualität

Das ist keineswegs gratis zu haben. Wer mehr Bus und Tram will, darf nicht dabei stehen bleiben, auf den Landkreis zu verweisen. Schöneiche wird dafür selbst Geld ausgeben müssen. Wollen wir perspektivisch nicht doppelt bezahlen (über die Kreisumlage und Eigenmittel), sollten wir mit anderen Gemeinden im Berliner Umland darüber diskutieren, den regionalen ÖPNV vollständig in die eigenen Hände zu nehmen (wie durch §3 Absatz 3a des Brandenburgischen ÖPNV-Gesetzes möglich), etwa mit einem gemeinsamen Zweckverband (wie bei der Wasserversorgung).

Rechnet man ehrlich ist festzustellen, dass der Autoverkehr die Kommunen heute das Dreifache kostet, was für den Umweltverbund ausgegeben wird. Es geht also in erster Linie um eine faire und sinnvolle Verteilung der Verkehrsausgaben nach sozialen und ökologischen Maßgaben.

Letztlich müssen wir uns eines bewusst machen: Mehr Umweltverbund und weniger individueller Autoverkehr lohnt sich. Sauberer, sicherer und günstiger Verkehr kommt uns allen zu Gute – durch bessere Mobilität und eine höhere Lebensqualität. Ob und wie wir dieses Ziel erreichen (wollen), ist politisch auszuhandeln. Deshalb ist eine intensive verkehrspolitische Diskussion vor den anstehenden Wahlen absolut begrüßenswert!

Der Autor dieses Beitrages ist Spitzenkandidat der Partei DIE LINKE zur Wahl der Gemeindevertretung Schöneiche bei Berlin, arbeitet zur Zeit bei der Agora Verkehrswende und engagiert sich ehrenamtlich beim Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Von Fritz Viertel

Fritz Viertel ist Mitglied der Gemeindevertretung und Vorsitzender der Fraktion Die Linke.