Diskussionsveranstaltung „Fair Handeln – TTIP stoppen“ in der KuGi

Gut 50 Besucher fanden am letzten Mittwoch, dem 12. November 2014 den Weg in die Kulturgießerei zur Veranstaltung „Fair Handeln – TTIP stoppen“. Mit Dr. Michael Efler, (Mehr Demokratie e.V.) und den Bundestagsabgeordneten Thomas Nord (LINKE) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/ DIE GRÜNEN) wurden hochrangige Diskussionsteilnehmer gewonnen . Moderiert wurde die Veranstaltung vom Vorsitzenden der örtlichen LINKEN, Fritz R. Viertel.

Was ist „TTIP“ und um was ging es bei der Veranstaltung in der KuGi?

Bei der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) handelt es sich um ein Handelsabkommen, das derzeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehandelt wird. Ziel ist die Beseitigung von Handelshemmnissen (d.h. von Zöllen, unnötigen Regelungen, Investitionsbeschränkungen usw.) in einem breiten Spektrum von Branchen und damit die Erleichterung des Kaufs und Verkaufs von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten.

Was sind die Haupt-Kritikpunkte?

Neben inhaltlichen Kritikpunkten werden insbesondere die angeblichen Geheimverhandlungen zwischen der EU-Kommission und den amerikanischen Unterhändlern kritisiert. Dazu konnte Dr. Michael Efler plastisch vortragen, daß selbst Mitglieder der entsprechenden Fachausschüsse aus dem EU-Parlament und dem Bundestag die Unterlagen zum Verfahrensstand nur in speziellen Räumen einsehen können. Notizen dürfen sie sich dabei nicht machen und auch ihre Photohandys müssen abgegeben werden. Dass dies zu Misstrauen führt, liegt auf der Hand.

Sorge bereitet auch vielen Kritikern, das europäische Standards bei Umweltschutz und Verbraucherrechten abgesenkt werden sollen.

Auch das berühmte-berüchtigte „Chlorhühnchen“ kam wieder zur Sprache. Selbst wenn es so wäre, daß diese durch chlorierte Wasserbäder desinfizierten Hühner nach Europa exportiert werden würden, über „TTIP“ würde niemand gezwungen werden, diese US-Hühnchen auch zu essen. Die Angst vor dem Chlorhühnchen ist unsachlich – vor allem wenn europäische Antibiotika-Hühnchen die Alternative sind. Die Verwendung von Antibiotika sind bei der Tierproduktion in den USA, anders als in der EU und insbesondere Deutschland, strikt verboten.

Sowohl die EU als auch die USA streben ein hohes Maß an Schutz für die Bürger an, gehen dabei aber unterschiedlich vor. Die EU verlässt sich gelegentlich mehr auf Regelungen, während in den Vereinigten Staaten eher die Entscheidungen in konkreten Rechtsfällen zugrunde gelegt werden. Beide Ansätze können wirksam sein, aber keiner von beiden ist perfekt. Eine Harmonisierung der Regelungen im Umwelt- und Verbraucherbereich wird es ausdrücklich nicht geben, derartige Befürchtungen sind also unbegründet. Aber natürlich werden die  bekannten Schlagworte („Chlorhühnchen“) zwecks Propaganda immer wieder gern vorgebracht!

Was bedeuten die „Investor-Staat-Regelungen?

In der Kritik stehen aber immer wieder die Regelungen um den Schutz von Investoren. Spezielle Schiedsgerichtsverfahren mit hoch qualifizierten Juristen auf Kosten der Einzelstaaten sollen die nationalen Gerichtsbarkeiten  aushebeln können. Auch wenn die USA und die (meisten) Länder der EU über gefestigte Rechtsordnungen verfügen, wird damit nicht unbedingt ein ausreichender Schutz ausländischer Investoren gewährleistet. So könnte ein Land einen Investor enteignen (z. B. durch Verstaatlichung) oder Gesetze erlassen, die seine Investition wertlos machen, etwa durch das plötzliche und entschädigungslose Verbot eines Erzeugnisses, das in der Fabrik eines ausländischen Eigentümers hergestellt wird, während die Produkte einheimischer Unternehmen nicht verboten werden. Weiteres Beispiel: Anfang 2014 hat das bulgarische Parlament beschlossen, eine Steuer in Höhe von 20 Prozent auf die Produktion von Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen zu erheben.

Dies könnte als sogenannte „indirekten Enteignung“ angesehen werden, die sich zwar nicht direkt gegen die Investoren der PV- und Windkraftanlagen richten, aber ähnliche Auswirkung haben könnte. Die entsprechenden Kalkulationen sind natürlich ohne diese Steuer aufgestellt worden, weshalb die geänderten Rahmenbedingungen nach ihrer Ansicht einer „indirekten oder faktischen Enteignung“ gleich kommen.

Kritiker von Investitionsschutzregeln sind dagegen der Meinung, dass ein allgemein gehaltenes, staatliches Gesetz nicht als Enteignung verstanden werden kann und soll – Investoren können nicht erwarten, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen in einem Land nicht ändern.

Trotzdem bleibt die grundsätzliche Frage: Warum sollen Konzerne überhaupt rechtsstaatliche Systeme in der EU und den USA mit Schiedsgerichten umgehen dürfen? Es könne nicht in unserem Sinne sein, die Schleusen dafür zu öffnen, dass eine Heerschar gut bezahlter Juristen mit allen Tricks und Finessen Konzerninteressen gegen Staaten durchsetzt und im Gegenzug das Bürgerinteresse auf der Strecke bleibt, so Annalena Baerbock. Jede Regelung müsse da absolut hieb- und stichfest sein. Bislang konnten unsere Bedenken gegen den geplanten Investitionsschutz nicht ausgeräumt werden, erklärte Annalena Baerbock weiter. Auch das vorliegende Investitionsschutzmodell im Abkommen mit Kanada (CETA) überzeuge trotz leichter Fortschritte nicht.

Jedoch scheinen hier die Bemühungen der selbstorganisierten  „Europäischen Bürgerinitiative“ mit bisher um die 800.000 Unterschriften bei der EU Wirkung zu zeigen, daß diese besonderen Schiedsgerichtsverfahren („Investor-Staat-Streitigkeiten“) keinen Eingang in den abschließenden Vertragstext finden werden.
Die beiden Ortsverbände von LINKE und Bü90/Grüne haben vor, hier auf lokaler Ebene weitere Unterschriften gegen das „TTIP“ zu sammeln, als Ziel wurden 1.000 Unterschriften in Schöneiche genannt.


Weiterführende Hinweise:

Wie man unschwer erkennen kann, ist die Materie kompliziert. Weiterführende Hinweise insbesondere zur Kritik am „TTIP“ kann man hier (bitte dem link folgen) nachlesen, aber auch die Argumente der Befürworter verdienen Gehör, zeigen sie doch, daß es bei diesem Abkommen um keine „Schwarz-Weiß-Malerei“ gehen kann. Diese Argumente finden Sie hier, wenn Sie diesem link folgen.

Ein juristisches Kurz-Gutachten der Grünen BT-Fraktion speziell zu den „Investor-Staat-Verfahren“ können Sie hier finden.

Man kann nicht nur über die Risiken reden, sondern auch über die  Chancen. Mit einer grünen Agenda für den Freihandel könnten EU und USA neue Standards setzen, die weltweit ihre Wirkung entfalten, so machte Annalena Baerbock klar. Wer für Klimaschutz, eine nachhaltige Wirtschaft und die Ressourcenwende kämpft, muss versuchen, auf die Freihandelsagenda Einfluss zu nehmen.

Wenn wir für mehr Markt und fairen Handel werben, warum bauen wir dann nicht unsere Subventionen für fossile Energieträger ab, die dramatisch den Wettbewerb verzerren? Da geht es um rund 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Oder setzen wir mit TTIP ein Zeichen gegen Abschottung und vereinbaren die notwendige Öffnung unserer Märkte für Schwellen- und Entwicklungsländer?

In diesem Sinn war es eigentlich schade, daß diese wichtige Veranstaltung keinen Widerhall in der Presse fand und auch bei den Internetpräsenzen der beteiligten Diskutanten darauf kaum eingegangen wurde. Das hätte man sicherlich besser vorbereiten bzw. nachbereiten können.

Ich denke aber, die Thematik wird die Öffentlichkeit noch eine Weile beschäftigen, denn der Abschluß der Verhandlungen wird in der gegenwärtigen Amtsperiode von US-Präsident Obama, also bis Ende 2016 nicht mehr erwartet. Der SPIEGEL hat heute (19.11.2014) darüber entsprechend berichtet.

 

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