Rede des Bürgermeisters der Gemeinde Schöneiche am 9. Januar 2015

Ansprache zum 14. Neujahrsempfang der Gemeinde Schöneiche bei Berlin  in der Kulturgießerei

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zum Neujahrsempfang der Waldgartenkulturgemeinde Schöneiche bei Berlin begrüße ich Sie wiederum hier in der Kulturgießerei mit Mehrgenerationenhaus sehr herzlich gemeinsam mit dem auch einladenden Vorsitzenden der Gemeindevertretung, Herrn Dr. Erich Lorenzen. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich wieder nicht jeden mit Namen begrüßen kann. Sicherlich hätten Sie es alle verdient, persönlich genannt zu werden. Allen noch einmal herzlichen Dank für Ihr Kommen.

Gleich zu Beginn -bevor ich es vergessen sollte -bedanke ich mich bei denjenigen, die diesen Abend wieder vorbereitet haben und die uns heute mit Musik sowie Essen und Trinken begleiten. Es sollte natürlich auch dieses Jahr wieder etwas Besonderes sein: wieder Kultur und Politik ein Neujahrsempfang mit Musik und Auszeichnungen.

Dieses Mal beginne ich mit der Auszeichnung. Wir zeichnen heute den Verein für Sicherheitspartnerschaft aus. Den Verein für Sicherheitspartnerschaft gibt es nun 20 Jahre. Seither sind Mitglieder des Vereins in enger Abstimmung mit der Polizei ehrenamtlich aktiv, um für mehr Sicherheit und vor allem für mehr Sicherheitsgefühl im Ort zu sorgen. Dafür herzlichen Dank.

Welches Thema auswählen?

Es gibt sehr viele Themen über die man sprechen könnte. Kriege, Flüchtlinge, Extremismus, Terrorismus, Islamismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Eurokrise usw. Darüber spreche ich heute nicht.

Am 25. Mai 2014 war Kommunalwahl. Unsere Gemeindevertretung wurde neu gewählt für die sechste Wahlperiode. Ein wichtiges Ereignis für unsere Gemeinde. An dieser Stelle ein besonderer Dank an alle WahlhelferInnen, die die Wahlen 2014 möglich gemacht haben.

Darf ein Bürgermeister etwas öffentlich zur Gemeindevertretung sagen? Darf er sogar öffentlich Kritik äußern? Keine einfache Frage.

Ein Bürgermeister wird direkt gewählt und ist einerseits ein eigenständiges Organ der Gemeinde. Auch Gemeindevertretung mit gewählten GemeindevertreterInnen und Bürgermeister sowie Hauptausschuss sind eigenständige Organe der Gemeinde. Die drei Organe begegnen sich nach Kommunalverfassung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung -auf Augenhöhe -mit eigenen Rechten und Pflichten, Verantwortung und Zuständigkeiten. Andererseits ist die Gemeindevertretung Dienstvorgesetzte des Bürgermeisters als beschäftigter Wahlbeamter der Gemeinde. Beamte unterliegen einer Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten.

Also äußere ich mich zur Gemeindevertretung lieber nicht als Beschäftigter und Wahlbeamter, sondern vorsichtshalber als frei gewählter Bürgermeister. Ich werde mich auf den Kern konzentrieren. Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen. Sollte ich zu sehr vereinfachen, so bitte ich um Entschuldigung und Verständnis.

Waren Sie schon einmal bei einer Sitzung unserer Gemeindevertretung? Oder haben Sie etwas gelesen oder gehört? Interessieren Sie sich für unsere Gemeindevertretung?

Ich habe nun seit Juni 1996 in über 18 Jahren Erfahrungen mit vier verschiedenen Gemeindevertretungen – gewöhnliche und außergewöhnliche, denkwürdige und lehrreiche Erfahrungen. Seit sechs Monaten nun Erfahrungen mit einer neuen Gemeindevertretung. Gab es Veränderungen?

Vor einem Jahr habe ich hier gesagt:

Die Summe aller Einzelinteressen ist weniger als das Wohl der Allgemeinheit. Und es gibt nicht nur einen einzigen Bürgerwillen, sondern eine Vielfalt von Interessen und Bedürfnissen, die sich auch widersprechen können. Es geht um Konsens, Solidarität und Verantwortung.

Kennen Sie den Satz „Streit ist das Salz der Demokratie“? Diesen Satz höre ich immer öfter.

Streit in einer zivilisierten Form ist das Austragen einer Meinungsverschiedenheit unter Beachtung demokratischer Regeln.

Wenn nun Salz in den Kessel der Demokratie kommt, wer bestimmt dann, welche Dosis bekömmlich und welche Dosis unbekömmlich ist? Wird Salz achtsam mit Fingerspitzen gestreut oder gedankenlos? In unserer Gemeindevertretung wird Salz mit der Kelle hinzugefügt. Wird zu viel Salz eingestreut, schmeckt Suppe nicht oder es entsteht sogar ein totes Meer. Die Dosis macht das Gift.

Es geht in der Gemeindevertretung weniger um zivilisierten Streit zum Wohl der Allgemeinheit. Es geht leider mehr um Zank, Zwietracht und Hader. Es geht um bitter anhaltenden Streit als feindselige Auseinandersetzung. Es geht darum, Zwietracht und Hader zu säen.

Es geht nicht um das Wohl der Allgemeinheit. Es geht nicht um gute Kompromisse oder gar einvernehmlichen Konsens. Dominant sind Misstrauen, Interessenkonflikte, Rivalitäten, Eifersucht, Neid, Rache, Geltungssucht, Feindschaft, Wut, Verachtung und Hass. Ja, es geht sogar um feindseligen Hass.

Man kann in der Gemeindevertretung Solidarität und Gemeinsamkeit, Toleranz und Mitgefühl suchen, man findet sie nicht. Gemeinsamkeit ist zu erahnen, wenn sich sogar gegensätzliche Interessen gegen Bürgermeister oder Gemeindeverwaltung zusammenfinden. Eine Mehrheit der Gemeindevertretung will diesen Bürgermeister nicht.

Man kann Respekt und Wertschätzung suchen, man findet sie nicht. Empfehlungen von Fachausschüssen, sachkundigen EinwohnerInnen, berufenen BürgerInnen oder Beiräten werden nicht wirklich respektiert oder zur Erkenntnis genutzt.

In unserer Gemeindevertretung gibt es Intrigen, Verleumdung, Beleidigung, Rufschädigung, es gibt Mobbing und es gibt verbale und psychische Gewalt.

Mobbing ist schikanieren, seelisch verletzen, also Psychoterror mit dem Ziel, Betroffene aus dem Betrieb hinauszuekeln. Anschreien ist eine Mobbingmethode.

Und in unserer Gemeindevertretung wird, versuchen Sie es sich vorzustellen, herumgebrüllt. Es wird richtig laut aggressiv jähzornig gebrüllt. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich auf einem Kasernenhof der Grenztruppen der DDR. Also hätte es die friedliche Revolution vor 25 Jahren nie gegeben. Ich kann das Kasernenhofbrüllen nicht wirklich nachmachen, da ich nie gedient habe. Sie können es sich hoffentlich gut vorstellen. Schlachtfeld Politik? Ist das alles einfach normal? Muss man das alles erleiden?

Was soll man da machen? Ich bin für Gewaltfreiheit und Sanftmut. Wir sind doch alle Menschen, wir sollten menschlich miteinander umgehen.

Möchten Sie einen solchen Dienstvorgesetzten? Ein Dienstvorgesetzter hat auch eine Fürsorgepflicht für Beschäftigte, also auch für den Bürgermeister als Wahlbeamten. Eine solche Fürsorge können Sie hier suchen, aber Sie werden nichts finden.

Ich habe als Bürgermeister viele Jahre anonyme Morddrohungen von einem „anständigen“ Wutbürger erhalten und überstanden. Ich wurde von Rechtsextremisten zuhause, bei Heimatfesten und Chanukkafesten körperlich bedroht und im Internet wurde meine Erschießung gefordert. Auch überstanden. In Anzeigenblättern und auf privaten Internetseiten wurden Gerüchte gestreut, Halbwahrheiten und Unwahrheiten über mich verbreitet. Auch überstanden. Die Bürgermeisterwahl 2012 wurde vor Gericht angefochten. Auch überstanden.

Aber zurück zum Brüllen. Gewalt und Brüllen übersteht man. Es ist schlimm und unerträglich. Aber wissen Sie, was wirklich haarsträubend und enttäuschend ist? Für mich ist es zum Himmel schreiend.

Schweigen.

Schweigen in der Gemeindevertretung ist die Hölle.

Mobbing und Gewalt sehen und schweigen, das macht mitschuldig, das macht zum Mittäter.

Für das, was ich vorgetragen habe, gibt es Zeugen, viele Zeugen. Alle die dabei waren. Ob sich Zeugen melden würden?

Herr Ritter hat seine Fraktion verlassen. In der Zeitung steht, dass er den Hass einzelner Gemeindevertreter seiner Fraktion gegen den Bürgermeister nicht mehr hinnehmen wolle. Es ist nur die Spitze des Eisberges.

Ich vermisse einen demokratischen Stil, eine demokratische Kultur in unserer Gemeindevertretung. In der Gemeindevertretung selbst wird so Demokratieverdruss, Politik-und Politikerverdrossenheit erzeugt.

Demokratie fällt nicht vom Himmel, sie ist kein dauerhaftes Geschenk. Demokratie ist eine zarte Pflanze, die dauernd sorgsam gehütet werden muss. Kann Politik in der Gemeindevertretung behutsam oder gar zart sein?

Dieses Fehlen einer demokratischen Kultur ist nicht einmal ein Alleinstellungsmerkmal. Sie können dieses Fehlen auch in Gemeindevertretungen in der Region und auch anderswo finden.

Demokratie scheitert nicht an ihren Feinden. Demokratie scheitert immer an fehlenden überzeugten Freunden.

Ob es mir etwas hilft, wenn ich das alles hier sage? Ich weiß es nicht. Wegschauen und Schweigen sind weit verbreitet. Vielleicht wird es nur noch schlimmer für mich. Aber ich möchte in den Spiegel schauen können und mir sagen, ich habe es öffentlich gemacht und es wenigstens versucht. Ich habe es wenigstens versucht. Und ich denke dabei auch an Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“. Diese Freiheit nehme ich auch für mich in Anspruch. Ein Bürgermeister hat Menschenrechte.

Zum Abschluss meiner Rede habe ich wie schon beim ersten Neujahrsempfang 2002 und seither immer wieder erneut denselben -unerfüllten -Wunsch.

Vertreten wir nicht nur -jede und jeder -eigene Interessen, übernehmen wir gemeinsam Verantwortung für unsere Gemeinde und die eine Welt, sprechen wir miteinander aufrichtig und ehrlich, hinterfragen wir unsere Vorurteile, betonen wir nicht Egoismus und Trennendes, suchen wir Gemeinwohl und Verbindendes.

Nun kommt wieder Kultur. Und Sekt wird verteilt.

Lassen Sie uns gemeinsam anstoßen.

Alles Gute für unsere Demokratie, für Sie und unsere Gemeinde im neuen Jahr. Ich wünsche uns Frieden und eine lebenswerte menschenwürdige Gegenwart und Zukunft hier und auf der ganzen einen Welt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Heinrich Jüttner Bürgermeister (es gilt das gesprochene Wort)

Quelle: http://www.schoeneiche-bei-berlin.de

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Redaktion Schöneiche Online

Ein Gedanke zu „Rede des Bürgermeisters der Gemeinde Schöneiche am 9. Januar 2015

  1. Ines Pohle

    Wie in den vergangenen Jahren schon ist die Neujahrsrede des Bürgermeisters so etwas wie eine Tradition geworden. Umso mehr verwundert es mich, dass ein erfahrener Bürgermeister, wie Herr Jüttner seine eigentliche Rede beginnt und in den Raum stellt, „Welches Thema auswählen?“ Das dürfte doch eigentlich für eine Neujahrsansprache klar sein???
    Am Beginn kamen ja leichte Ansätze, was in eine Neujahrsrede in meinen Augen gehört, das Bürger mit besonderen Leistungen und Einsätzen im vergangenen Jahr hervorgehoben und geehrt werden, wie z.B den Verein für Sicherheitspartnerschaft. Außerdem denke ich mir, dass ein Bürgermeister etwas zu den Plänen in seiner Gemeinde für das neue Jahr sagen könnte. Also, um die ganze Sache etwas abzukürzen, muss ich für mich feststellen, die Neujahrsrede 2015 von unserem Bürgermeister Herrn Jüttner war eindeutig „ THEMA verfehlt „.
    Es ist völlig egal, aus welchen Gründen Herr Jüttner seine Probleme mit der Gemeindevertretung auf einem Neujahrsempfang darlegt, in meinen Augen ist es einfach unpassend was den Ort, die Zeit und auch die Anwesenden betrifft.
    Bei Kritik anderen gegenüber sollte man eigentlich beachten, das sich diejenigen verteidigen bzw. rechtfertigen können, vor allem wenn die Kritik so unsachlich ausfällt, wie in der Rede von Herrn Jüttner. Dieses ist auf einem Neujahrsempfang nicht möglich, ganz einfach, weil es dort nicht hingehört.
    Mein Vorschlag: Was auch immer an den Beschuldigungen wahr oder nicht wahr ist, das Thema gehört in eine Gemeindevertretungsversammlung, wo die sich gegenübersitzen, denen es betrifft. Wir arbeiten alle und können auch nicht anfallende Probleme in die Öffentlichkeit tragen, sondern müssen die an Ort und Stelle selbst lösen, anders geht das nicht.
    In diesem Sinne wünsche ich allen aktiven und nicht aktiven Bürgern von Schöneiche ein Gesundes neues Jahr und immer daran denken „ Wo gehobelt wird, da fallen Späne!“
    Ines Pohle

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