„Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …“ – Ein Faktencheck

Wenn irgendwo eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber eingerichtet werden soll, melden sich fast immer Anwohner mit Fragen, Sorgen und Ängsten. Gerne wird betont, dass man ja nichts gegen Flüchtlinge an sich habe, dass aber die Flüchtlingsunterkunft in der unmittelbaren Nachbarschaft eine unzumutbare Belastung sei. Beliebte Argumente der Unterkunftsgegner haben wir einem Faktencheck unterzogen.

1. „… die Kriminalität steigt“

Straftaten von Flüchtlingen werden nicht gesondert erfasst. In der »Polizeilichen Kriminalstatistik« wird zwar zwischen deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen unterschieden. Zu der letzteren Gruppe zählen aber neben Flüchtlingen auch in Deutschland niedergelassene Ausländer sowie Durchreisende, Touristen, Angehörige ausländischer Streitkräfte und ausländische Studierende. In der »Polizeistatistik des Landes Berlin für das Jahr 2014« wird der Anteil von Flüchtlingen an allen Straftatverdächtigen jedoch explizit mit 1,3 Prozent ausgewiesen. Zwar geht es dabei um Tatverdächtige, nicht um Straftäter. Dennoch: Die Zahl ist höher als der Anteil von Flüchtlingen an der Berliner Bevölkerung.

Einige Faktoren sind bei der Kriminalitätsbelastung von Flüchtlingen im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung zu berücksichtigen: Asyl- und aufenthaltsrechtliche Delikte können von deutschen Staatsangehörigen nicht begangen werden; 2014 waren das bundesweit immerhin 156.000 Ermittlungsverfahren. In der oben erwähnten Tatverdächtigenstatistik der Berliner Polizei wurden diese Delikte allerdings herausgerechnet. Hinzu kommt: 70,5 Prozent aller Asylbewerber sind unter 35 Jahre alt, zwei Drittel sind männlich. Unter den Flüchtlingen in Deutschland sind also überdurchschnittlich viele junge Männer – eine Bevölkerungsgruppe, die laut Bundeskriminalamt besonders häufig straffällig wird, unabhängig von der Herkunft.[2] Zudem könnte die Unterbringung in Massenunterkünften Konflikte zwischen Bewohnern und dadurch Straftaten begünstigen. Ob das zutrifft, lässt das brandenburgische Innenministerium zur Zeit untersuchen.

Flüchtlingsheime sind entgegen vieler Befürchtungen nach Auffassung von Polizeibehörden aber keine Kriminalitätsschwerpunkte. Bundesweite Statistiken über die Kriminalitätsentwicklung im Umfeld neuer Gemeinschaftsunterkünfte gibt es zwar nicht, aber die Lageeinschätzungen sind einhellig: In Berlin, Bremen und Dresden haben neue Asylbewerberunterkünfte, so die jeweiligen Polizeibehörden, nicht zu einer erhöhten Kriminalität geführt. Umgekehrt nimmt aber die rassistisch motivierte Kriminalität zu: Im Jahr 2014 wurden bundesweit rund 150 Attacken auf Flüchtlingsheime gezählt, wesentlich mehr also als 2013. Da hatte das Bundeskriminalamt insgesamt 58 gegen Flüchtlinge gerichtete Straftaten gezählt, darunter Propagandadelikte, Sachbeschädigung, Brandstiftung, Volksverhetzungen, Körperverletzungen und Beleidigungen.

2. „… Immobilien verlieren an Wert“

Als der Hamburger Senat ankündigte, im exklusiven Stadtteil Harvestehude eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, reichten drei Anwohner Klage ein und begründeten dies unter anderem mit einer drohenden Wertminderung ihrer Immobilien. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Ausschlaggebend war jedoch nicht ein möglicher Wertverlust, sondern dass der Bebauungsplan eine Unterkunft in dem Wohngebiet nicht zulasse. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Dem Eigentümerverband Haus und Grund Deutschland liegen keine Daten vor, die einen Wertverlust durch Heimeröffnungen belegen würden. Auch der Immobilienverband IVD, die bundesweite Interessenvertretung der Makler, kann für die Ängste der Eigentümer keine sachlichen Belege anführen. Noch deutlicher äußert sich der Wertermittlungsausschuss des Immobilienverbandes Berlin-Brandenburg. Er hält Ängste vor einem Wertverlust für „subjektive Eindrücke“. Zwischen der Eröffnung einer Unterkunft und der Immobilienpreisentwicklung gebe es keinen Zusammenhang.

3. „… Anwohner wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“

Nicht nur bei Flüchtlingsunterkünften klagen Anwohner oftmals, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden würde. Auch Moscheebauten, psychiatrische Einrichtungen, selbst Spielplätze können den Argwohn von Nachbarn auf sich ziehen. Es geht dabei nicht nur um Vorurteile. Bürger sorgen sich um ihre Lebensqualität und fordern zu Recht, an Entscheidungen über ihre Umgebung beteiligt zu werden.

Die bevorstehende Einrichtung einer Unterkunft wird oft durch Pressemitteilungen bekannt gegeben. Die Verwaltungen bieten ergänzend häufig Einwohnerinformationsveranstaltungen an. Dies ist sicherlich eine gute Idee, aber verpflichtet sind sie dazu nicht. Schließlich gibt es kein Recht darauf, sich seine Nachbarn aussuchen zu können. Kommunale Verwaltungen können neue Unterkünfte teilweise aber schon deshalb nicht langfristig ankündigen, weil sie häufig erst kurzfristig erfahren, dass sie zusätzliche Flüchtlinge unterbringen müssen.

Durch Bürgerbeteiligungsverfahren über die Aufnahme von Flüchtlingen zu entscheiden, ist aber nicht möglich. Das Asylrecht ist im Grundgesetz verankert und die Unterbringung von Flüchtlingen eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Der prozentuale Anteil an Flüchtlingen, die den einzelnen Ländern zugewiesen werden, ist durch Quoten geregelt, die anhand der Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahlen festgelegt werden. Wie die Flüchtlinge in den Ländern auf die Kommunen verteilt werden, ist von Land zu Land unterschiedlich.

4. „… Flüchtlinge überfordern die Infrastruktur“

Die Bevölkerung strukturschwacher Regionen hat mit schlechter Verkehrsanbindung, Ärztemangel und Schulschließungen zu kämpfen. Die Infrastruktur wird ausgedünnt, weil die Einwohner weniger und älter werden. In Dörfern und Kleinstädten fürchten daher manche, noch länger auf einen Augenarzttermin oder einen Kita-Platz warten zu müssen, wenn auch Flüchtlinge diese Dienste in Anspruch nehmen.

Unterversorgung ist ein gravierendes Problem in vielen ländlichen Regionen. Die dort untergebrachten Flüchtlinge betrifft es sogar noch stärker als die Wohnbevölkerung. Denn sie haben kein Auto, mit dem sie zu Anwälten und Psychotherapeuten in eine größere Stadt fahren könnten. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass Asylbewerber von vielen, insbesondere medizinischen Leistungen gesetzlich ausgeschlossen sind.

Ein Flüchtlingswohnheim kann dem Rückbau der Infrastruktur einer Kleinstadt sogar entgegenwirken: Sobald Flüchtlinge nämlich in das Einwohnermelderegister eingetragen sind, erhöht sich die Einwohnerzahl einer Gemeinde. Damit erhöht sich auch, etwas zeitversetzt, die Zuweisung aus dem kommunalen Finanzausgleich, auf die finanzschwache Kommunen angewiesen sind. Wenn Flüchtlingskinder Kitas und Schulen besuchen, kann dies drohende Schließungen wegen Unterbelegung abwenden helfen.

Autoren: Christoph Schulze und Jonas Frykman

Quelle und weitere Informationen unter:  www.bpb.de

RSO on FacebookRSO on GoogleRSO on TwitterRSO on VimeoRSO on Youtube
RSO
Redaktion Schöneiche Online